Concerto Commodore

Steinzeit-Computer wie der C 64 erleben ein Comeback - zumindest akustisch bei neu eingespielten Songs

Es hat angefangen zu nieseln in Bad Godesberg. Hinter dem Autofenster ziehen die Villen des Bonner Diplomatenvorortes vorbei. Diplomaten gibt es hier kaum noch, und die Betriebsamkeit früherer Tage ist bleierner Tristesse gewichen. Irgendwann kommt die erlösende Landstraße, und Dataclerk dreht die Musik voll auf. Plötzlich hat man das Gefühl, mit dem Rücken zu einer Spielhalle zu stehen. Die Boxen auf der Hutablage knarren, pfeifen und rauschen, als gelte es, einen uneinholbaren High Score zu vermelden. Langsam taut Dataclerk, der eigentlich Frank heißt, auf: "Ab und zu hole ich mir an der Nachttanke noch ein Bier", erzählt er. Im Halbdunkel huscht ein Bauernhof vorbei, dort war früher die indische Residenz untergebracht. "Und dann fahre ich auf Umwegen nach Hause - einfach, weil die SID-Tunes so gut kommen!"

SID-Tunes sind Dataclerks Lieblingsmusik - und wahrscheinlich das Trendigste in seinem Auto: silberner Opel Kadett, Viertürer, Typ Opamobil. Der 26-jährige Student ist Fan von Micromusic: Das ist Musik, die mit museumsreifer Hardware erzeugt wird - mit Heimcomputern aus den achtziger Jahren oder alten Gameboys. Dataclerk steht besonders auf den Klang des Commodore 64. Eine Million dieser braungrauen Brotkästen stand vor 15 Jahren in deutschen Wohn- und Jugendzimmern. Im Innern des C 64 arbeitete ein so genanntes "Sound Interface Device". Wie alle Freaks nennt Dataclerk den Chip nur "SID", und seinen Klang findet er "einfach fett, krisp und brachial". Anscheinend zu brachial für seine Anlage: Vor der Fahrt durch das nächtliche Bad Godesberg musste Dataclerk noch eine der Lautsprecher-Membranen notdürftig flicken - mit Tesafilm.

Jetzt flattert die Membran wieder brav mit den Druckwellen der Bässe. Dazu krachen die Drums über die Hochtöner: Kurzschlüsse, gemischt mit rosa Rauschen. Schließlich setzen die Synthies ein und schneiden wie eine anlaufende Kreissäge durch den Fond des Opel. Das Gemisch klingt irgendwie nach "Human League" und den Achtzigern. Doch die Songs aus der Hutablage sind topaktuell, Copyright 2000. Denn echte Micromusic-Fans konsumieren nicht nur alte Spiele-Soundtracks, sondern komponieren auch neue Songs für die Steinzeitrechner. Die meisten der 13 000 SID-Tunes, die sich Dataclerk aus dem Netz heruntergeladen hat, sind Neuproduktionen. Mit der alten Hardware braucht er sich dabei nicht mehr herumzuschlagen. Im Netz gibt es längst sogenannte Emulatoren, die den alten 64er-Sound auf modernen PCs originalgetreu nachbilden.

Doch das ist natürlich nur Methadon für echte Micromusiker. Das Verlangen nach dem Original bleibt - und wird befriedigt: Seit kurzem verkauft ein ungarischer Bastler im Netz eine Steckkarte, mit der ein antiker SID-Chip an moderne PCs angeschlossen werden kann. Dataclerk hat sich die Karte natürlich schon bestellt. Bald wird der 8-Bit-Chip, Taktfrequenz ein Megahertz, an seinem 400 Megahertz-Pentium andocken - wie ein Bollerwagen an einen Porsche.

Ohne Internet wäre das Micromusic-Revival nicht möglich gewesen. Es gab zwar schon früher Freunde der Acht-Bit-Musik, doch die meisten haben sich nach dem Heimcomputerhype aus den Augen verloren. "Leute, die sich jahrelang nicht gesehen haben, treffen sich jetzt durch Zufall auf unserer Seite wieder", erzählt Carl von der Schweizer Website micromusic.net. Der 28-Jährige ist ein Gründungsmitglied der Künstlergruppe Etoy, bekannt durch ihren spektakulüren Domainstreit mit dem US-Spielzeugriesen Etoys.com. Seit Mitte 1999 betreibt Carl die Seite mit dem Motto "low-tech music for high-tech people". Womit auch schon gesagt ist, wer zur Fangemeinde der Micromusic gehört: "Einige sind Web- und Screendesigner", stapelt Carl tief. Tatsache ist: Vor allem Angestellte in der Internet-Wirtschaft schätzen die spartanischen Elektrosounds. Micromusic liefert in vielen Büros den akustischen Hintergrund für die Überstunden zum Wohle der New Economy - Gameboy-Klänge als Rudertakt für die Sklaven auf der digitalen Galeere.

Doch längst nicht alle Fans von Micromusic sind solche hoffnungslosen Nostalgiker, die mit dem PC nur ihre digitale Vergangenheit emulieren. "Auch 16-Jährige begeistern sich für diese Musik", berichtet Carl von Micromusic.net. Frank alias Dataclerk gibt zu, daß Commodore-Sounds den "Charme der Kindheit" versprühen und eine Reminiszenz an erste Breakdance-Versuche zu Herbie Hancocks "Rock it" sind. Doch über den Verdacht des reinen Rosabrillenträgers ist er erhaben, denn als Jahrgang 74 hat er die Commodore-Welle nur noch von hinten gesehen.

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb begeistert er sich für die akustische Antiquität aus dem Commodore 64. "Der SID-Chip hat eine einmalige Klangästhetik", schwärmt er. Dataclerk weiß, wovon er spricht: Er vertont neben seinem Studium kommerzielle Onlinespiele. In seiner Wohnung stehen Synthesizer, Sampler und ein topmodernes PC-Aufnahmesystem. Aber um damit den "krispen Sound" des C 64 hinzukriegen, "müsste man lange rumschrauben", sagt Dataclerk. Der Charme der Micromusic liegt in ihrem Minimalismus. Micromusiker mögen nicht an der Techno-Olympiade zeitgenössischer Produzenten teilnehmen. Sie glauben an den Vorsprung durch weniger Technik: Moderne Klangerzeuger verfügen über 64 Stimmen, der SID-Chip hat vier. In Profi-PCs werden Klänge mit 24 Bit dargestellt, beim Commodore sind es acht. Auch Hall, Echo oder gar Stereo kennt der SID-Chip nicht. Und genau in dieser freiwilligen Enthaltsamkeit liegt der Wert der Micromusic. Für Carl von Micromusic.net ist Micromusic sogar die "Erlösung" von den paralysierenden Möglichkeiten moderner Rechner. Man könne ja mit einem PC heute fast alles machen, sagt er, "aber bei Micromusic beherrschst du die Technik noch".

Allzu ernst sollte man die Low-Tech-Jünger jedoch nicht nehmen. "Ich mach das alles mit einem Augenzwinkern", sagt Frank alias Dataclerk, während er vor seiner Wohnung einparkt. Unsere Spritztour mit SID ist zu Ende. Wir haben es nur bis zur Dea-Tankstelle an der A 565 geschafft - und eine halbe CD voll Micromusic gehört. Und trotzdem klingen die Songs immer noch nach Supermarioland. Wie aus der Spielhalle, verspielt eben. Dataclerk hat damit kein Problem: "Wenn du dazu abends durch eine Unterführung fährst, und die Lichter so vorbeihuschen - da denkst du wirklich, du bist in einem Rennspiel und hast noch ein Extra-Leben."




Ein Bericht von Constantin Gillies
Stand: 2000
Quelle: www.heise.de (?)

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