Trackerlabels: Die Pioniere der Online-Musik

MP3s sind heute der Inbegriff für Musik im Internet. Doch eigentlich beginnt die Geschichte der Online-Musik lange vor Internet-Boom, MP3 und Co. Wir schreiben das Jahr 1987...

Am Anfang stand der Amiga, Commodores Flaggschiff, im Kampf um jugendliche Home-User. Musikern hatte die Kiste eigentlich nicht sonderlich viel zu bieten, jeder mit ein bißchen Equipment griff in jener Zeit lieber zum Atari ST. Für den gab es professionelle Software wie Cubase, der hatte eine MIDI-Schnittstelle. Dafür hatte der Amiga viele, viele Farben. 4096, um genau zu sein. Das war eine ganze Menge in einer Zeit, in der teure PCs entweder 4 oder 16 Farben zum Bildaufbau benutzten. Daran gemessen war der Amiga so etwas wie der erste Multimedia-Computer. Die passende Multimedia-Software mußte man sich allerdings noch selber basteln. Und die Kids programmierten wie verrückt. Sie crackten kommerzielle Spielesoftware, ersetzten deren Vorspannsequenzen durch Eigenkreationen und verbreiteten ihre gewagten Animationen außerdem als so genannte Demos - eine Art elektronische Graffiti-Kultur entstand.

Richtig ins Rollen kam der Kult dann, als 1987 ein gewisser Karsten Obarski ein Programm namens "Soundtracker" für den Amiga veröffentlichte. Obarski arbeitete bei der Spieleschmiede Eidos und hätte sich sicher damals nicht träumen lassen, daß er mehr als 10 Jahre später für diesen Schritt als Held gefeiert wird (The Karsten Obarski Tribute Project). Doch er legte mit diesem einfachen Programm die Grundsteine für eine ganze Szene.


Der Remix nur einen Mausklick entfernt

Dabei bot Obarskis Soundtracker verglichen mit heutiger Musiksoftware eher bescheidene Möglichkeiten. So gab es keine Unterstützung für externe Instrumente wie Sampler oder Synthesizer. Dank des Amiga-Soundchips konnten außerdem nur 4 Stimmen gleichzeitig wiedergegeben werden. Echte Stereoausgabe war ebenfalls unbekannt. Entschädigt wurden die Amiga-Musiker durch die Vorzüge des verwendeten Dateiformats.

Diese so genannten Modules werden sozusagen im Source-Code abgespeichert. Statt aus fertigen Audio-Daten bestehen Modules nur aus einzelnen Samples und den Anweisungen darüber, wann und wie diese gespielt werden sollen. Diese Daten interpretiert beim User dann ein entsprechender MOD-Player. Gegenüber MP3s hat das den Vorteil, dass die Stücke im Durchschnitt nur etwa ein Zehntel der Speichermenge brauchen.

Außerdem beeinflußte diese Technik ganz wesentlich auch die Szene der Amiga-Musiker in ihren ästhetischen Wertvorstellungen. Denn selbstverständlich kann sich jeder dieses Sourcecodes bedienen. Die Samples können exportiert werden, die Programmierung liegt neugierigen Augen offen. Jeder Track ist gleichzeitig eine Anleitung zum Selbermachen, jeder Remix nur einen Mausklick entfernt. Die Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten verschwindet zwangsläufig.

Trotzdem regiert in der Trackerszene nicht etwa das Diktat des gesichtslosen Technos. Gerade weil der Autor in Verhandlung gerät, kann er sich besonders profilieren. Denn wenn jeder jedem in die Karten gucken kann, kommt es um so mehr auf Originalität an. Außerdem hatte zumindest damals jeder die gleichen technischen Voraussetzungen und konnte deshalb nicht allein aufgrund seines Equipments außergewöhnlich gut produzierte Tracks vorlegen.


Demo-Parties und Compo-Fieber

Gerade diese Vergleichsmöglichkeiten waren extrem wichtig für die Demo- und Trackerszene. Deren Aktivisten schlossen sich in "Crews" beziehungsweise "Groups" zusammen und versuchten, anderen Gruppen mit ihren Werken den Ruhm streitig zu machen. Ein ständiger Wettbewerb fand statt, der auf den Demo-Parties seinen Höhepunkt fand. Noch heute gibt es eine ganze Reihe solcher Parties. Wichtigster Programmpunkt dieser Partys sind die Wettbewerbe, auch Compos genannt, die nach penibelsten technischen Kriterien definiert sind: So gibt es Wettbewerbe für Amiga-Grafikintros, die aber auf keinen Fall größer als 64 Kilobyte sein dürfen. Oder MOD-Compos, bei denen nur 4 Kanäle benutzt werden dürfen. In gewissem Sinne sind diese Veranstaltungen so etwas wie die elektronische Variante der Hip-Hop-Jams. Das Repräsentieren der eigenen Crew, das ständige Messen und Vorführen des eigenen Könnens, aber auch das Zusammenspiel ganz verschiedener Ausdrucksformen - Animationen gehören ebenso dazu wie Musik und pixelige ASCII-Art.

Neben den Demo-Parties bildeten sich eigene Szene-Netzwerke über Diskettenaustausch, Mailboxnetze und später das aufkommende Internet aus. Besonders wichtig für die oft internationalen Crews wurde dabei das IRC als Kommunikationsmedium.


Von der Trackerszene zu den Netzlabeln

Gleichzeitig bedeutete der Internetboom so etwas wie einen Wendepunkt für die Tracker-Szene. Mit der Zeit sahen die Musiker ihre Tracks nicht mehr nur als Beiwerk zu Demos und emanziperten sich von dieser Szene. Eigene Music-Groups schlossen sich zusammen und bildeten im neuen Medium eigene Vertriebsnetzwerke. Einen kräftigen Schub bekam diese Entwicklung dann mit dem Aufkommen des World Wide Webs.

Die Gruppen designten sich eigene Websites und gaben sich damit ein eigenes Gesicht, was auch das musikalische Profil schärfte. Statt "Music Group" nannte man sich jetzt "Net Label". Anstatt wie vorher Musik stilistisch wild durcheinander zu veröffentlichen, suchte man sich seine Sparte. Nicht umsonst entstanden gerade in den Jahren 1994-1996 viele auch heute noch sehr engagierte Netzlabel wie Mono211 oder Chill.

Als dann der MP3-Boom ausbrach, hatten sich die Tracker bereits fest etabliert. Dennoch hatte wohl manch einer Angst, von dem neuen Format überrollt zu werden. Die öffentliche Diskussion spitzte sich auf MP3.COM und illegale MP3s zu, Trackerlabel waren den meisten Neulingen im Netz unbekannt. Doch Sites wie ModPlug Central sahen darin auch eine Chance, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und kurbelten die Werbetrommel an. Seit mehr als einem Jahr bietet die Site "featured MP3 files" an - MP3s, die gleichzeitig auch als MOD veröffentlicht werden und so die Angst vor dem unbekannten Format nehmen sollen. Modplug Central möchte die Trackerszene damit als unkommerzielle Alternative zu Plattenlabeln und Raubkopierern empfehlen:

"There is another option out there - and it ist not MP3.COM or any other MP3 Site. The MOD/Tracking community has been providing great free music for years now, and can only serve to benefit from this recent sweep by the industry."

Abschied vom Open-Source-Gedanken?

In den letzten zwei Jahren haben immer mehr dieser Trackerlabel das MP3-Format für sich entdeckt. Der Open-Source-Gedanke geht dabei zwangsläufig verloren. Für diesen Schritt gibt es einige ganz pragmatische Gründe: Bandbreite spielt eine immer geringere Rolle bei der Distribution der Musik. Außerdem ermöglicht heute auch der durchschnittliche Multimedia-PC umfangreiches Mastering der Stücke, was früher nur Studios mit professionellem Equipment vorbehalten war. Zwangsläufig steigt deshalb auch der Anspruch der Produzenten an die Qualität ihres Sounds.

Schließlich hat auch die Trackerentwicklung nicht halt vor dem technischen Fortschritt gemacht: Noch bis vor kurzem dominierten fast ausschließlich DOS-Programme wie der Impulse Tracker oder der Fasttracker die Szene. Doch an deren Nachfolgern wird bereits emsig gearbeitet.

Ein besonders spannendes Projekt hört auf den schönen Namen Buzz und steht in seiner Vielfältigkeit teurer Studiosoftware um fast nichts mehr nach. Das Programm ist modular aufgebaut, so daß Klangerzeuger, Tracker und virtuelle Effektgeräte nach Belieben miteinander verkabelt werden können. Dazu bietet Buzz eine Schnittstelle für Plug-ins der Profisoftware VST sowie das ASIO-Treibermodell an. Deutlicher Nachteil einer so umfangreichen Produktionsumgebung: Einzelne Stücke können nicht mehr ohne weiteres ausgetauscht werden, da nicht jeder die dafür benötigten Plug-ins zur Verfügung hat. Also setzen die meisten Buzz-Producer auf MP3s.


"We can go on."

Unterdessen lebt das Prinzip der Tracking-Software auch in anderen Bereichen weiter. Thomas Dolbys Beatnik-System zur Beschallung von Webseiten beispielsweise baut auf einer Art Tracker auf. Außerdem sitzen neben den Buzz-Entwicklern zahlreiche andere Programmierer mit ihren Tracker-Projekten in den Startlöchern. In welche Richtung sich die Szene mit den kommenden Neuentwicklungen bewegen wird, ist schwer einzuschätzen. Am wahrscheinlichsten ist wohl ein pluralistisches Nebeneinander professioneller Netzlabel, old-schooliger Tracker-Groups und treuer Open-Source-Anhänger. Die Demo-Parties ziehen weiterhin Massen von Publikum an. Und auch im Netz ist neben den großen Audioservern noch viel Platz für eine kreative unabhängige Szene.

Die Major-Plattenfirmen helfen mit ihrer Copy-kills-Music-Rhetorik tatkräftig dabei mit, Musikfans auf andere Distributionsmodelle neugierig zu machen. Die Szene selbst gibt sich optimistisch bis kämpferisch. So heißt es etwa bei Modplug Central:

"Let the commercial artists writhe in the agony of the greed of their contract holders, we can go on."



Ein Bericht von Janko Röttgers
Stand: 30.03.2000
Quelle: www.telepolis.de

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